27.05.2021
Ernst-Rudolf Töller
Autor: Ernst-Rudolf Töller

Ein Gastbeitrag zum Thema Datenanalyse und Prüfung: Ein ungleiches Paar?

Der heutige Blogpost ist ein Gastbeitrag unseres langjährigen Wegbegleiters in Sachen Datenanalyse, Herrn Ernst-Rudolf Töller. 

Herr Töller war über 25 Jahre als IT-Prüfer für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften tätig und hat sich in dieser Zeit intensiv mit Fragen der Datenanalyse beschäftigt. Er war bis zu seinem Ausscheiden Ende Februar 2016 bei der BDO AG, Hamburg tätig und ist seitdem im aktiven Ruhestand. Während seiner Tätigkeit als "Data scientist" war er sowohl im Rahmen von Jahresabschlussprüfungen wie auch bei der Untersuchung doloser Handlungen oder Projekten zur Unterstützung der internen Revision tätig. Seine Schwerpunkte lagen und liegen immer noch auf mathematisch-statistischen Modellen zur Datenanalyse sowie deren Umsetzung mit Programmen wie ACL und WINIdea.

 

Die Frage, was sich seiner Meinung nach an der Arbeit von Prüfungsgesellschaften ändern sollte, beantwortet ein Manager eines internationalen Unternehmens folgendermaßen: ‚back to basics‘. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass damit natürlich nicht gemeint ist, so zu prüfen, wie man das vor Jahrzehnten gemacht hat. Vielmehr manifestiert sich aus Sicht des Befragten die große Herausforderung für die Prüfung in zwei gegensätzlichen Polen:

  • Die Geschäftsprozesse im Unternehmen produzieren immer mehr und immer detailliertere digitale Daten. Anhand dieser Daten kann jeder einzelne Prozess (oder ein Teil davon) auch im Nachhinein immer genauer nachvollzogen werden.
  • Dem gegenüber stehen Jahresabschlüsse, in denen diese Datenmengen immer höher und immer komplexer aggregiert sind. Dabei spielt sowohl die große Menge der Daten als auch die Komplexität der Regeln zum Beispiel bei Konsolidierungen eine wichtige Rolle.
     

So hoch auch die Transparenz durch die wachsende Menge an digitalen Daten inzwischen im einzelnen Fall ist, umso undurchdringlicher erscheinen demgegenüber oft die ‚großen Zahlen’ eines Unternehmens oder eines ganzen Konzerns. Selbst klassische Instrumente der Prüfung wie Vorjahresvergleiche stoßen an Grenzen, wenn sich Konzernstrukturen von einem zum anderen Geschäftsjahr nachhaltig ändern. Dann braucht es u.U. umfangreiche Nebenrechnungen, allein um die Vergleichbarkeit der Zahlen zum Vorjahr zu erreichen.

Entsprechend schwierig kann sich also am oberen Ende der Skala das gestalten, was man mit ‚Identifikation und Beurteilung von Risiken wesentlicher falscher Darstellungen in der Rechnungslegung des Abschlusserstellers durch den Abschlussprüfer’ bezeichnet wird. Auch mit digitalen Prüfungsinstrumenten kann es problematisch sein, kritische Teile eines Jahresabschlusses direkt anhand (relativ hoch) kumulierter Daten eindeutig zu identifizieren.

Neben der Analyse der aggregierten Daten des Rechnungswesens haben sich in den letzten Jahren - sozusagen am anderen Ende der Skala - auch Instrumente wie das sogenannte ‚Journal Entry Testing’ etabliert. Hierbei geht es darum, kritische Fälle direkt in den Einzelbelegen zu identifizieren. In der Praxis ergibt sich dabei oft das Problem, dass durch solche ‚einfachen’ Abfragen von Daten größere Mengen an ‚false positives’ erzeugt werden. Die nachträgliche manuelle Klärung der Einzelfälle kann dann sehr aufwendig werden.

Worum könnte es also bei ‚back to basics’ genau gehen? Der befragte Manager präzisierte seine These so: In der Prüfung sollen Einheiten/ Objekte fokussiert werden, von denen ein Prüfer aufgrund von Wissen und Erfahrung oder Intuition weiß, wie sie sich plausibel in Zahlen abbilden. Beispiele:

  • Den gesamten Bestand eines oder mehrerer Hochregallager mengen- und wertmäßig zu beurteilen, ist schon deshalb schwierig, weil sich solche Größenordnungen schlicht unserer Vorstellung entziehen. Menschen denken gewöhnlich nicht in solchen Dimensionen. Ganz anders sieht es mit einem einzelnen Lagerfach in einem solchen Lager aus. Fachwissen gepaart mit Alltagserfahrung eignet sich sehr wohl dafür, für den Inhalt eines einzelnen Lagerfachs wichtige Plausibilitätsbetrachtungen zu entsprechenden Zahlen wie Mengen und Werte anzustellen (Maße, Volumen, Tragfähigkeit, Art des Materials usw.)
  • Die Gesamtheit aller Filialen einer großen Handelskette ist hinsichtlich der damit verbundenen wirtschaftlichen Größen (Bestand, Umsatz, Gewinn, Saisonabhängigkeit, usw.) ebenfalls nur schwer einzuschätzen. Ganz anders sieht es mit einer einzelnen Filiale aus. Hier ergeben sich ebenfalls wichtige Plausibilitäten für die Zahlen einer einzelnen Filiale, die sich mit einer Mischung aus betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und ‚gesundem Menschenverstand‘ durchaus beurteilen lassen.

Das Problem besteht darin, dass es vielfach keine einfache Überleitung gibt, um die im Einzelfall vorhandenen Erkenntnisse auch für die Beurteilung eines Gesamtbestands zu nutzen.

Die Umsetzung von ‚Rohdaten‘ in prüferisch nutzbare Darstellungen ist ein aufwendiger Schritt. Dazu nur einige Details:

  • Aktuellen ERP-Systemen liegen ausdifferenzierte Datenmodelle zugrunde. Die Datenanalyse muss diese Modelle umfänglich berücksichtigen, nicht nur einige wenige ‚Standardattribute‘. Dazu braucht es geeignete mathematische Modelle.
  • Die Semantik der Rechnungslegung ist hinreichend verschieden von der internen Semantik eines ERP-Systems. Es bedarf eines erheblichen Transformationsprozesses, um die ERP-Sicht in die externe Sicht der Rechnungslegung zu überführen.
  • Datenanalyse muss neue Ergebnistypen produzieren, insbesondere grafische Darstellungen. Als Beispiel ist die Auswahl von Fällen anhand ihrer Lage in einer Datenwolke (‚Lassotechnik‘) zu nennen. Eine korrespondiere direkte Datenabfrage (SQL o.ä.) hätte eine Komplexität, die kaum noch handhabbar wäre.


Anforderungen dieser Art sind nur noch über Standardsoftware umsetzbar. Alles andere wäre entweder unwirtschaftlich oder bliebe weit hinter den Anforderungen zurück.

Befunde aus Einzelfällen lassen sich nicht so einfach ‚hochmultiplizieren‘ und das Mengengerüst ist vielfach zu groß, um eine vollständige Einzelfallprüfung zu machen. Der entscheidende Faktor, der heute hinzukommen muss, um solches Wissen und Erfahrungen, die ursprünglich nur für Einzelfallprüfungen nützlich waren, auch in großem Maßstab zu nutzen, ist die digitale Datenanalyse. Mit solchen Mitteln kann man die Gesamtheit von Lagerfächern, Filialen usw. an den Arbeitsplatz des Prüfers bringen, um sie mit geeigneten digitalen Prüfungsinstrumenten zu untersuchen. Dabei geht es nicht um die Gesamtheit der Grunddaten eines Geschäftsjahres, die ggf. tatsächlich aufgrund des vorhandenen Speicherplatzes an einem einzelnen Arbeitsplatz verfügbar sein kann. Es geht vielmehr darum, dass man z.B. mit grafischen Aufbereitungen die ‚Landschaft’ der einzelnen Einheiten (Lagerfächer, Filialen etc.) darstellen kann. Das vorhandene Prüferwissen kann dann genutzt werden, um diese Landschaft zu erkunden: Cluster zu erkennen, die Lage und Größe dieser Cluster zu beurteilen oder Extremfälle außerhalb von Clustern zu identifizieren usw.

Das war also am Ende gemeint: Der Prüfer soll mit seinem Wissen nicht direkt am realen Einzelfall ansetzen, sondern eine virtuelle Gesamtheit betriebswirtschaftlicher Einheiten mittels digitaler Datenanalyse untersuchen. Das bedeutet aber, dass Prüfer die inzwischen verfügbaren Optionen zur Untersuchung digitaler Daten, noch viel umfangreicher in ihre Tätigkeit einbeziehen müssen. Das geht aber nur über die Nutzung qualifizierter Standardsoftware in Verbindung mit dem Fachwissen eines Prüfers. Überhaupt erst diese Kombination aus Fachwissen und Analysesoftware ist geeignet einen Nutzen zu stiften.

Die Prüfung muss Anschluss finden an die aktuell möglichen Wege der Datenanalyse. Gerade, wenn es - wie in der aktuellen Situation - um die Grundfragen der Prüfung wie die Echtheit von Zahlen und Daten geht, ist es entscheidend alle Optionen für die Plausibilitätsprüfung von Zahlen zu nutzen.

In diesem Sinne also: ‚back to the basics‘.


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